EU lässt das UN-Welternährungsprogramm in Syrien im Stich

„Abstimmung mit den Füßen“ – Während die EU noch debattiert, treibt fehlende Hilfe immer mehr Syrer aus Flüchtlingscamps nach Europa

Genf (epd). Achtjährige Jungen werden zum Einsatz als Kindersoldaten gezwungen, gleichaltrige Mädchen werden zwangsverheiratet: Während die EU an diesem Montag in Brüssel über die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien debattiert, erleben Millionen von Syrern in ihrer zerfallenden Heimat die Hölle auf Erden. „Es darf uns nicht wundern, dass im fünften Jahr des Bürgerkriegs die Flüchtlinge bis nach Europa kommen“, glaubt Peter Salama, Regionaldirektor des UN-Kinderhilfswerks Unicef. Zudem fliehen immer mehr Menschen auch aus den Nachbarländern, in denen Helfer kaum noch das Nötigste bieten können.

„Die meisten Flüchtlinge müssen mit 50 Eurocent am Tag oder weniger auskommen“, sagt Bettina Lüscher vom Welternährungsprogramm (WFP). Die UN-Organisation versorgt 4,25 Millionen Flüchtlinge in Syrien mit Nahrungsmitteln und weitere 1,6 Millionen in den Nachbarländern Libanon, Jordanien, der Türkei, dem Irak und Ägypten. „Um das Nötigste zu bewältigen, bräuchten wir wöchentlich 26 Millionen US-Dollar“, betont Lüscher.

Doch obwohl Syrien derzeit täglich Thema in Politikerreden überall auf der Welt ist, kommt das Geld nicht zusammen. „In Syrien mussten wir die Rationen um ein Viertel kürzen, Lebensmittelgutscheine für Flüchtlinge in den Nachbarländern wurden um die Hälfte gekürzt“, sagt Lüscher. Das WFP in Syrien lebe – wie andere Hilfsorganisationen auch – von der Hand in den Mund. „Das geht seit Jahren so, und uns gehen langsam die Ideen aus“, klagt Lüscher. „Ich sage immer: wir sind die bestgekleideten Bettler – wir danken denen, die uns etwas geben, und sagen dann: wir brauchen aber noch mehr.“

Auf umgerechnet 6,6 Milliarden Euro schätzen UN und Hilfsorganisationen den Bedarf, um die Flüchtlinge in und aus Syrien in diesem Jahr mit dem Nötigsten zu versorgen. Wasser, Lebensmittel, Zelte, medizinische Versorgung – keine Extravaganzen. Vier Monate vor Jahresende ist kaum mehr als ein Drittel der Summe, 37 Prozent, zusammengekommen. Nur wenige Regierungen sind bereit, in der größten Krise seit dem zweiten Weltkrieg zu helfen. Von den bislang ausgezahlten 2,43 Milliarden kommt fast eine Milliarde aus den USA.

21 der 28 EU-Staaten geben zusammen 800 Millionen, dazu kommen 268 Millionen aus Brüssel. Innerhalb der EU ist die Hilfsbereitschaft höchst unterschiedlich: Großbritannien hat knapp 422 Millionen Euro, Deutschland 200 Millionen Euro beigetragen. Die Slowakei steuert 33.670 Euro zum Gesamtbetrag bei, während von Estland, Griechenland, Kroatien, Portugal, Rumänien Ungarn und Zypern nichts kommt. Jenseits von USA und EU sieht es düster aus: Saudi-Arabien hilft mit 16 Millionen Euro und Russland mit 6 Millionen – das entspricht der Hilfe aus Luxemburg. China gibt nichts.

„Die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in den Nachbarländern verschlechtern sich durch die fehlenden Gelder deutlich“, warnt Melissa Fleming vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge. Fleming ist gerade von einer Reise in den Libanon zurückgekehrt. „Manche Leute haben mir dort gesagt: wenn hier noch mehr zusammengestrichen wird, dann gehen wir das Risiko ein, nach Europa zu fliehen – wir haben dann nichts mehr zu verlieren.“ In Ländern wie dem Libanon, die die Flüchtlinge zunächst mit offenen Armen empfangen haben, wächst zudem der Widerstand gegen die Aufnahme weiterer Syrer.

Mehr als vier Millionen syrische Flüchtlinge leben bereits in den Nachbarstaaten. „Das ist zehn Mal mehr, als ganz Europa bislang aufgenommen hat“, erinnert Unicef-Regionaldirektor Salama. Die immer katastrophaleren Zustände in der Region trieben die Flüchtlinge auf die teure und gefährliche Reise nach Europa. „Wir sehen in der Region jetzt den Ausbruch von Krankheiten wie Polio, die es seit langer Zeit nicht gegeben hat, und ein in Syrien ungekanntes Maß an Unterernährung.“

Der Ausblick ist düster. Zwar fordern hochrangige UN-Repräsentanten unisono ein geschlossenes Handeln der Europäer an diesem Montag – doch das ist bislang nicht in Sicht. Ohne eine europäisch abgestimmte Lösung und eine Perspektive bei den bei Gesprächen zur Beendigung des syrischen Krieges wird die Zahl der Flüchtlinge vermutlich weiter steigen. „Es gibt Millionen von Flüchtlingen in Syrien, und wenn die Lage noch schlimmer wird, werden sie mit ihren Füßen abstimmen“, glaubt Salama. „Diese Millionen könnten schließlich bis nach Europa fliehen.“

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